Tag 13: Ein Scharlatan und Helms Klamm

Freundlich schaut er ja aus: der "Wunderheiler" am Mount Robson.
Man hört ja von einigen wundersamen Geschichten, wo Menschen in der reinen Natur und der kristallklaren Luft Kanadas Krankheiten abgeworfen haben wie eine zweite Haut. Dabei spielen dann auch allerlei indianische Riten eine Rolle. Wir sind im Squamish-Land unterwegs, einem stolzen Volk der first Nation hier, deren Geschichte hier aufzuzeichnen den Rahen sprengt (Wiki ist eine hervorragende Quelle). Ich stoße am Yellowhead Highway, am Pass unterhalb des gewaltigen Mount Robson (3954 m) an der Grenze zu Alberta auf ein Tipi am Straßenrand. Gleich am Visitors Center für British Columbia. Und muss einfach aufschreiben, wie ein furchtbarer Faulpelz hier die (meist detuschen) Touristen derart neppt, dass einem die Tränen kommen. Mit einem "Heil-Ritual", das er ganz bestimmt nicht von seiner Squamish Großmutter abgeschaut hat.
Zündet nicht: das Kräutergemisch mit den reinigendem Rauch.
Zunächst denke ich an einen der vielen Souvenir-Händler, der in China hergestellte Traumfänger an arglose Touristen verkauft. Doch dann sehe ich, wie eine etwas dralle deutsche Touristin (dem Dialekt nach aus Hessen) aus dem Tipi torkelt und dem etwas abgerissen dreinschauenden Wunderheiler überschwenglich dankt. "All pain gone, all pain gone in the foot", jauchzt die mopsige Dame, während sie zurück zu ihrem Wohnmobil und ihrem mehr als mürrisch dreinschauenden Ehemann humpelt (!). Ich schaue mir den Heiler-Vogel genauer an und muss es ausprobieren. Für 20 Dollar (ca. 15 Euro) verspricht der fast zahnlose Heiler ("Ich habe eine Squamish-Oma"), dass alle Maladen von einem abfallen und es einem wieder gut geht. Der Mann, Anfang 40, scheint ansonsten arbeitslos, und konnte sich wohl nicht aufraffen, sich wenigstens zusätzlich mit allerlei indianischem Firlefanz zu kostümieren. Was seinen Umsatz reichlich steigern würde. Immerhin denkt er über meinen Tipp nach, während er ein Kräutergemisch entzünden will. Peinlich: Die Körner brennen nicht, und so wird es nichts mit dem reinigenden, antibakteriellen Rauch, den er mir fast 5 Minuten lang erklärte. Das würde auch nichts machen, die reinigenden Kräfte der Geister währen jetzt schon da. Also krieche ich in das Tipi, der zahnlose Halbindianer hinterdrein. Beißender Gestank empfängt mich drinnen und ich soll mich auf eine schäbige mit einer verfleckten Decke belegten Luftmatratze legen. Jetzt bemerke ich auch, wo der Geruch her kommt. Der Mann hat seine Schuhe ausgezogen, wohl auch vorher bei der letzten Patientin.

Der mächtige, 141 Meter hohe Helmcken Fall. Wir nannten die Gegend gleich Helms Klamm...
Dann die nächste Panne: Der CD Player mit Squamisch-Musik will nicht. Die Batterien sind alle. Auch das würde nichts machen, er würde schon spüren, wie sich die guten Energien im Dach des Tipi versammeln. Dann beginnt er sein "Ritual". Ohne mich (Gott sei Dank) zu berühren, zieht er die bösen Energien aus meinem Körper, indem er seine Händen von oben nach unten über meinen Körper  fährt. Jetzt fängt er auch noch an zu singen, was er nicht kann. Meine Shakren wären nun voll geöffnet, meint er und nun würde er die gute Energie eingeben. Ich frage, seit wann denn Shakren bei den Squamisch eine Rolle spielen, dass käme doch aus Indien. Worauf er sagt, dass er alle positiven Rituale aller Kulturen vereint, schließlich seien wir alle Brüder und Schwestern. Die vereinbarten 30 Minuten sind plötzlich nach 15 Minuten rum und wir kriechen wieder aus dem muffigen Tipi hinaus ins Licht, wo der gute Heiler gierig nach den 20 Dollarschein schnappt. Danach trollt er sich, hängt ein Schild "Call again later" ans Tipi und verschwindet in einer kleinen Bäckerei gegenüber.
Was für ein Scharlatan, denke ich und während ich ich noch wundere, wieso Leute an so etwas glauben, humpelt die korpulente Hessin an mir vorbei zum Visitors Center. "Naaa?", frage ich hämisch, "so richtig weg sind die Schmerzen im Fuß wohl nicht, was?" "Doch, doch, das war eine richtig tolle Erfahrung. So intensiv. Ich fühle mich wie neu geboren", greint die Dame. Sprichts und hinkt mit schmerzverzerrtem Gesicht die Treppe hinauf. Ich bin sprachlos.
Fahrt in den Wells  Grey Nationalpark. Oft geht es über schmale, einspurige Brücken über reißende Gebirgsbäche...
Vollgepumpt mit positiver Energie geht es heute noch nach Clearwater. Wir taufen die Gegend um den Helmcken Fall sogleich "Helmsklamm" wie im Herrn der Ringe,  Aus 141 Metern ergießt sich der viert höchste Wasserfall Kanadas am Murtle River im Wells Grey National Park in die Tiefe.   Ob es an der Aura des Wunderheilers liegt: Uns beschleicht in den Wäldern rund um den durchaus spektakulären Wasserfall eine düstere Stimmung. Und dann, wie aus dem Nichts, setzt auch noch schwerer Regen ein. Den hat womöglich der Scharlatan bestellt, weil ich zu den 20 Dollar keinen Tip gegeben habe. Aber so kann es einem gehen, wenn sich die Shakren wieder schließen...